Fotoprojekt „Hübeli“

Vor Weihnachten war mir langweilig. Rein fotografisch natürlich. Und weil von Twitter stets gute Anregungen kommen, wenn man die richtigen Fragen stellt (und die richtigen Follower hat), kamen auf meinen „Aufruf“, mich doch mal außerhalb meiner Komfortzone zu fordern, eine Reihe toller Ideen. Ich möchte nicht alles verraten, aber zwei Vorschläge waren so gut und so herausfordernd, dass ich sie umsetzen werde: Langzeit- und Nachtfotografie und Street. Vor allem letzteres fasziniert mich, weil es gleich mehrere Aspekte betrifft, die ich normalerweise meide: Städte und Menschen. Aber da kam noch eine Antwort. Die hatte es in sich!

„Magst Du nicht einmal ein Tierasyl porträtieren?“, fragte einer, der sich bei Twitter Waldschrat nennt. (Ja, dieser Nick passt! Da wir uns sofort anfreundeten, darf ich das sagen, denke ich.)

Einfach man nachfragen. So einfach kann’s sein …

Ein Tierasyl. Hm. Meine Emotion in diesem Moment: Ambivalenz. Ja, ich will. Ich mag Tiere (nicht alle, sie sollten beispielsweise nicht mehr als vier Beine haben), ich bewundere uneigennütziges Engagement, ich bin neugierig, ich war schon länger nicht mehr in der Schweiz. Ich hatte kritische Fragen, Dinu, so der Name des Waldschrats, hatte überzeugende Antworten und eine Einladung für mich. So stieg ich am 6. Januar 2020 kurz nach dem Besuch der Sternsinger (ich lebe bekanntlich in Bayern) ins Auto und fuhr Richtung Südwesten. Am späten Nachmittag kam ich an, lernte die ersten Menschen und Tiere kennen und bezog mein Zimmer.

Frühmorgens um sieben Uhr begann der Dienst für die Helfer im Tierasyl Hübeli – und für mich. Wir hatten vereinbart, dass ich einen Tag auf dem kleinen Hof in der Zentralschweiz miterleben und dokumentieren darf. Keine Grenzen, keine Verbote, keine Szene, die nicht gezeigt werden darf. Wie gesagt, bin ich neugierig und mit einer Reihe von kleinen und großen Tieren von Kindesbeinen an gut vertraut. Ich konnte also einschätzen, was ich sah und erlebte.

So mancher Bewohner des Tierasyls schwankte zwischen spontaner Zuneigung und Vorsicht. Da alle Tiere Vorgeschichten haben, die mich teilweise kräftig schlucken ließen, wäre nur zu verständlich, wären Vorbehalte oder gar Aggressionen spürbar. Da war – nichts. Kein Tier zeigte Angst oder Ablehnung gegenüber mir, der Fremden. Selbst der eitle Ganter legte sein machohaftes Gehabe mir gegenüber nach einem Tag ab.

Rund vierzig Katzen leben im und ums Haus, das sich unter uralten Tannen an den Hang schmiegt und eine wunderbare Südlage mit freier Sicht aufs Tal bietet. Kaum eine von ihnen ist gesund, fast alle sind alt. Jede einzelne wird individuell an ihrem speziellen Platz gefüttert – zwei Mal täglich. Futterneid? Streit um Liegeplätze? Zickereien an einem der 27 Katzenklos? Zoff darum, wer auf Ritas Schoß liegen darf? Nichts davon. Es geht friedlich zu bei den Katzen, aber auch bei allen anderen Tieren. Wie geht das?

Irgendwas muss Rita mit Ihrem Team aus angestellten und ehrenamtlichen Helfern richtig machen. Oder anders als andere. Denn im Tierasyl leben noch mehr Tiere. Hühner beispielsweise. Auch sie wurden gerettet und leben nun so frei wie es eigentlich jedem Huhn zustünde. Wobei – eine Ausnahme gibt’s: „Die drei Brüder.“ Wenn die noch jugendliche Terrortruppe dürfte wie sie wollte, stünde wohl bald kein Stein mehr auf dem anderen. Okay, auch hier wird es eine Lösung geben, ihnen unbeschränkte Freiheit zuzugestehen. Die Jungs sind einfach zu lebensfroh und auch zu hübsch, um im Stall und im Gehege versteckt zu werden! Ein bisschen Erziehung vielleicht? Man wird sehen.

Der Rest der bunten Hühnerschar läuft kreuz und quer über den Hof und tut, was man eben so tut als Huhn: Nach Essbarem scharren, gackern, krähen, herumstehen oder -liegen, Sandbäder nehmen, auf Tischen sitzen, Katzen und Hunde ärgern …

Schafe. Natürlich sind auch Schafe auf Ritas Hof! Auch sie tun, was immer sie wollen. Und sie wollen? Fressen. Die Frau mit dem schwarzen Kasten im Gesicht finden sie sonderbar. Störend sowieso. Nicht beängstigend, aber … nun ja, nervig. Gut, dass der Bock aufpasst, so kann das Frühstück nach kurzer Unterbrechung fortgesetzt werden.

Haben Sie schon einmal Schafe auf die Weide laufen sehen? Daran erkennt der Fachmann, ob die Tiere fit und gesund sind. Ein müde zur Wiese trottendes oder gar hinkendes Tier ist ein Grund, umgehend zur Kontrolle zu schreiten. Oft ist es eine harmlose Sache – ein eingetretenes Steinchen oder einfach nur ein kleineres Verdauungsproblem. Das ist rasch behoben. Un damit kann es am nächsten Morgen wieder im gestreckten Schafsgalopp auf den Berg gehen – der Bock immer hinterher, seine Herde immer im Blick.

Wo Schafe wohnen, dürfen Ziegen nicht weit sein. Sage ich, obwohl ich keine Ahnung habe. Ziegen sind nicht nur extrem fotogen, sie sind quasi die Rampensäue unter den Tieren. Glauben Sie nicht? Bitte sehr:

Weiter geht’s. Wir sind noch nicht am Ende! Kehren wir zurück zu kleineren Tieren. Diese Beiden sind sehr scheu, was für mich einigen Aufwand bedeutet hatte. Es galt so lange ruhig in der Hocke zu warten, bis sie eingedöst waren. Meine Beine waren zuletzt taub, der Rücken schmerzte, aber die Flauschbällchen waren im Kasten!

Esel waren die ersten, denen Rita vor nunmehr vielen Jahrzehnten Asyl gewährte. Und wo Esel sind, sind Pferde normalerweise auch nicht weit. So begann alles, damals, als Rita mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann ihren ersten Hof bezog. Wie gut die Pflege sein muss wird deutlich, wenn man das biblische Alter eines der Ponys kennt: 40 Jahre! Was hier jedoch schwer nach Altersschwäche aussieht, täuscht gewaltig. Der Kerl ist grau, hat keine allzu guten Zähne mehr, aber er benötigt im Gegensatz zu der Verfasserin dieser Zeilen morgens keinen Kran, um auf die Beine zu kommen. Hier döst er in der Nachmittagssonne, wissend, dass ihm bald sein Brei serviert wird.

Auch die anderen Pferde sind nicht mehr die Jüngsten und haben teils bewegende Geschichten hinter sich. Egal, heute geht es ihnen gut – und wenn mal nicht, wird liebevoll für sie gesorgt. Auch sie habe ich beim Dösen fotografiert, allein, weil es zeigt, wie entspannt die Tiere sind, die bekanntlich als Fluchttiere in Anwesenheit Fremder stets lieber wachsamer sind als gerade dann eine Mütze voll Schlaf zu nehmen.

Wenn wir bei den Großen sind, muss ich zum Stall zu sprechen kommen. Alles auf dem Hof wurde und wird liebevoll von Hand und nahezu täglich repariert. Kein Wunder, denn Holz ist zwar das perfekte Stallbaumittel, doch gerade Pferde nagen für ihr Leben gern daran herum. Das bedeutet, dass ein heute ausgetauschtes Brett womöglich morgen bereits so engagiert „bearbeitet“ wurde, dass es bald wieder zum Tausch ansteht. Das Hübeli ist diesbezüglich eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die ehrenamtlichen Helfer. Aber auch Wind und Wetter richten immer wieder Schäden an, die zu beheben sind. Das kostet viel Zeit – und viel Geld. Ohne Spenden geht gar nichts, denn 7.000 Euro Fixkosten sind es jeden Monat allein fürs Notwendige. Sonderanschaffungen, Defekte oder hin und wieder erforderliche Reparaturen, für die Fachleute auf den Berg kommen und natürlich bezahlt werden müssen, plant Rita sehr genau.

Esel. Die fehlen noch. Weil Esel und Pferde nicht allzu viel gemein haben – was immer wieder fälschlicherweise angenommen wird -, separiere ich sie voneinander. Normalerweise laufen sie miteinander über die Wiesen und Paddocks, wobei die Esel mehr Freiheiten haben. Auch wenn zwei der Pferde sehr geländegängige Freiberger sind, muss man bei ihnen mehr Acht geben auf den Untergrund. Weil Esel einfach niedlich sind, hier ein schönes Porträt eines sich sehr gelangweilt gebenden Exemplar:

Zuletzt muss ich noch über etwas Delikates sprechen. In Ritas Tierasyl finden nämlich echte Schweinereien statt. Erschütternd! Ich mochte es ja nicht glauben, als ich es sah, aber … nun, sehen Sie selbst:

Gefällt Ihnen, was Sie sehen? Hier kann ich Ihnen leider nur wenige der 150 Bilder zeigen, die ich gemacht habe. Auf Wunsch kann ich jedoch alle Fotos zum Anschauen oder zur Nutzung zur Verfügung stellen. Letzteres kostenfrei für Medien, die über das Hübeli berichten wollen oder gegen eine Spende an den Verein, der das Tierasyl betreibt.

Zuneigung, Leidenschaft, Hingabe – und Sachkenntnis

Ich habe mir zwei Tage lang genau angeschaut, wie der Hof betrieben wird, wie die Tiere leben, wohnen und ernährt werden. Was ich vorgefunden habe: zufriedene, glückliche, entspannte Tiere. Leider sind nicht alle gesund, das liegt nun einmal in der Natur eines Gnadenhofs. Aber alle werden therapiert und betreut, gehegt und gepflegt. Jeder Patient bekommt seine individuelle Medizin, Diät oder besondere Art der Fütterung – mehrmals täglich. Jedem Senior wird ein für ihn passendes Nahrungsmittel besorgt und sein Futter leicht verwertbar geschnitten, gehackt, eingeweicht. Oft sitzt ein Pfleger bei dem Tier bis es gefressen hat. Das kann dauern, aber das ist eben so.

In diesem Zusammenhang ein paar Worte zu Futterspenden: Das ist immer gut gemeint. Leider sind die bei Fressnapf zu erwerbenden Dosen oder Beutel für die Tiere im Tierasyl Hübeli ungeeignet. Fast alle benötigen spezielle Futter, die häufig nur beim Tierarzt erhältlich sind oder aufwändig selbst hergestellt werden müssen. Von Leber- und Nierenerkrankungen über Allergien und Verdauungsproblemen bis hin zu Zahnausfall ist fast alles dabei. Ich wiederhole mich: Es sind alte und kranke Tiere!

Wollen wir diesen Menschen beim Helfen helfen?

Sie ahnen, dass ich Ihnen jetzt Geld aus der Tasche ziehen werde, gell? Tja, es hilft ja nichts. Jedes der 100 Tiere muss etwas zu Fressen und seine Medikamente haben, braucht Heu und Stroh, will ein Dach über dem Kopf oder eine Höhle zum Einkuscheln, möglicherweise sogar einen Stall mit Wärmelampe. Das alles kostet Geld. Geld, um das ich Sie bitte.

Ich kann’s garantieren: Jeder Cent oder Rappen kommt den Tieren zugute. Ich habe selbst erlebt, dass die Menschen, die dort oben „aufm Berg“ tag und nacht für ihre Tiere arbeiten, mehr als bescheiden leben und wohnen. Die brauchen unser Geld nicht, die bringen meist noch eigenes Geld mit! Alle Helfer, die ich kennenlernen durfte, strahlen Idealismus aus, gehen ihren immer körperlich, oft auch psychisch wirklich harten Aufgaben voller Hingabe nach und freuen sich jeden Tag, wenn es allen Tieren gut geht.

Ich kann nicht selbst auf dem Hof anpacken, so gern ich zur Mistgabel greifen würde. (Einige von Ihnen kennen mich diesbezüglich nur zu gut!) Eine Stunde einfache Fahrt könnte ich regelmäßig auf mich nehmen, aber vier sind einfach zu viel. Aber ich konnte und wollte dieses Porträt über Ritas Lebenswerk fotografieren und schreiben. (Ein Video ist noch in Arbeit.) Vielleicht hilft es auf seine Weise: als Dokumentation und als „Beweis“, dass hier jeder Euro oder Franken gut investiert ist.


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