Wie ich arbeite

Gestern bin ich aus einem ganz anderen Grund als sonst losgefahren: Ich wollte mich selbst dabei beobachten, wie ich arbeite. — Moment: arbeite?! Meine Fotografie ist Arbeit? Genau das! Mein Selbstverständnis als Fotografin ist es, professionell zu – nun ja, arbeiten. Ich bin keine Hobbyfotografin, ich fotografiere niemals ohne mir vorher zu überlegen, was ich mit dem fertigen Bild machen möchte. Was ich tue, dient mehr als nur dem Zweck, mir die Zeit zu vertreiben und Spaß zu haben. Ich will – muss! – natürlich Geld verdienen, aber ich möchte auch etwas bewirken. Spaß ist es nicht immer, wenn ich in der Natur unterwegs bin. Aber darüber werde ich bei Gelegenheit ein paar Worte mehr zu verlieren haben, denn es scheint mir angebracht. Aber zurück zum heutigen Thema.

Niemals planlos. Stets mit einem Ziel.
  • Ich überlege grundsätzlich (zumindest grob), wohin ich fahren oder gehe werde. In den Wald? An den Waldrand? Auf freies Gebiet? Ans Wasser? Habe ich weit zu laufen, muss also aufs Gewicht achten? Fahre ich mit dem MTB und kann zwar mehr schleppen, muss aber auch darauf achten, dass der Rucksack noch akzeptabel auf dem Rücken sitzt (eher liegt, da ich ja naturgemäß leicht vorgebeugt fahre). Oder reise ich mit dem Auto an und bin entsprechend frei und flexibel? Und noch eine Überlegung, die durchaus im Vorfeld anzustrengen ist: Habe ich im Sinn, Kunst zu machen oder dokumentarisch zu fotografieren? Auch das hat Einfluss darauf, was ich einpacke und mit welcher mentalen Einstellung ich den Trip angehe.
  • Was finde ich dort vor? Dominieren die kleinen Details oder sind es größere Objekte, oder gar ganze Gebiete, die ich in den Fokus nehmen möchte? Welche Wetterbedingungen herrschen, mit welchem Licht kann ich rechnen? Welche Jahres- und Tageszeit herrscht aktuell und wie stelle ich mich darauf ein beziehungsweise was werden ich benötigen?
  • Apropos Fokus. Welche Objektive nehme ich mit? Ein Macro für das ganz Kleine? Etwas Weitwinkliges bis 50 Millimeter für Landschaften? Etwas extrem Lichtstarkes? Oder mein geliebtes Tele, ohne das ich meine Art der „Schau genau hin!“-Fotografie gar nicht betreiben könnte? Alle passen nicht in meinen Rucksack und alle kann ich auch gar nicht tragen., da ich meist in unwegsamen Gelände unterwegs bin. 
  • Soll ich ein Stativ einpacken? Bei schlechtem Licht im Wald oder bei Detailfotografie sicher empfehlenswert, obwohl ich es meist zu vermeiden versuche, das Stativ aufzubauen. Ich agiere sehr spontan und nutze sehr oft Lichteffekte. So ein Lichtstrahl wartet allerdings nicht, bis ich mein Equipment endlich parat habe. Entweder ich bin schnell oder der Moment ist vorbei. Fotografiere ich Pilze, brauche ich ein Stativ, aber auch eher flaches Licht. Dann nehme ich mir aber auch viel Zeit.
  • Brauche ich Filter? Wenn ja, für welches Objektiv? Es passt nicht jeder Filter überall … (Allerdings arbeite ich eher selten mit Filtern, außer bei bewegtem Wasser.) Habe ich eine geladene Batterie und eine zweite/dritte SD-Karte im Rucksack? (Okay, jetzt wird’s banal. Außerdem habe ich über sowas bereits geschrieben. Erneut muss ich mich zur Ordnung rufen: Zurück zum Thema!)

Ich weiß, was ich tue. Immer.

Gestern also fuhr ich mit dem MTB rund 25 Kilometer weit in ein kleines Waldstück, das seit einigen Jahren renaturiert wird. Heißt, es darf wachsen was will, wo es will und wie es will. Erstaunlich finde ich, dass dort, in einem ehemaligen Fichtenforst, keine einzige Buche zu finden ist, sich dafür aber jede Menge Birken angesiedelt haben. Ganz von selbst. Ein paar kleine Eschen sind auch dabei, aber wirklich wenige. Dafür ist ein wunderschöner Waldgrasteppich entstanden, der verrottende Baumstümpfe und Äste bedeckt. Ich wusste also, worum es gehen wird und ich wusste, dass das Licht zur Mittagszeit passend sein könnte. (Im Wald gelten andere Regeln als in der freien Landschaft, wo man auf Morgen- und Abendstunden fast schon fixiert ist.)

Vor Ort orientierte ich mich zunächst grob und legte dann mein Bike ab, um zu Fuß weiterzugehen. Es wurde unwegsam … Entweder ich schließe mein MTB an einen Hochstand oder eine Schranke an oder ich lege es abseits ins Gestrüpp. Da ich mich nicht in Regionen aufhalte, wo viele Menschen unterwegs sind, besteht kaum Diebstahlsgefahr. So streunte ich nun – dummerweise in Shorts – durch Brennnesseln und Dornen und hatte dann gefunden, was ich gesucht hatte: Birken, Gras und eine gewisse Staffelung, die mir ermöglicht eine Komposition mit Tiefe zu finden. Verwendet habe an diesem Tag ein ganz billiges Objektiv, ein Tamron 70-300 f4-5,6. Es ist nicht das Schärfste, aber ich wollte es bei gutem Licht mal wieder probieren. Und es ist ein Geheimtipp. (Wobei: Nein, eigentlich nicht. Viele Gewichtsfetischisten und Sparfüchse nutzen es.)

Das erste Motiv hatte ich rasch gefunden, ein weiteres schien nicht in der Nähe zu sein, also fuhr ich ein paar hundert Meter weiter und erkundete den Rest des kleinen Waldstücks. Das ist immer auch Locationscouting, wovon ein Outdoorfotograf „lebt“. Zu erkennen, was Potenzial hat, vielleicht sogar erst in einigen Monaten oder gar Jahren, bei anderen Wetterverhältnissen oder mit einem anderen Objektiv, ist eine relevante Fähigkeit, die man sich aneignen muss und glücklicherweise auch kann. Antizipieren nennt man das. Das ist auch der Grund, warum man Fotografen neben ihren aufgebauten Stativen mit Kamera, Objektiv und Filter stehen und frieren oder schwitzen sieht. Sie warten auf das, was da hoffentlich kommen möge: Wolken, Sonne, Licht, was auch immer. Und das tun sie nicht, weil sie zu viel Zeit haben, sondern weil sie etwas ganz Konkretes im Sinn haben.

Ich radelte also ein bisschen kreuz und quer durch den Wald und entdeckte tatsächlich ein neues Motiv. An dieser Stelle sind die Birken schon etwas älter, das Arrangement wirkt souveräner, ruhiger. Hochformat bot sich von selbst an. Auch hier ließ ich mein Rad zurück und kämpfte mich zu Fuß weiter. (Durch Brennnesseln natürlich.) Bikenwald unterscheidet sich fotografisch signifikant von Buchenwald: Es gibt hier viel Licht. Die hellen Stämme reflektieren es statt es zu schlucken, die Kronen sind lichter, die leichteren Blätter bewegen sich stärker im Wind und lassen immer wieder Sonnenstrahlen durch. Und der Waldboden ist häufig von Gras bedeckt. Schön! Danach hatte ich gesucht.

Eigentlich war meine gestellte Aufgabe erfüllt, doch ich sah mich noch ein wenig um und entdeckte einen recht attraktiven Baumstumpf mit Farn. Den musste ich natürlich ablichten, wenngleich es nur ein „Mitnahmeartikel“ war, den ich bei Twitter zeige. Danach fuhr ich zwar einige Kilometer weiter zu einem ehemaligen Militärgelände, wo ebenfalls viele Birken stehen, doch ich fand keine Motive mehr. Ein paar Tage zuvor hatte ich dort noch einige gesehen … Das passiert, das ist normal. Es hängt einfach vom Licht ab, aber auch von meiner eigenen Kreativität und Laune. So kam ich eine Stunde später wieder an meinem ersten Motiv des Tages vorbei – und wunderte mich. Da war nichts mehr! Die Verhältnisse hatten sich verändert, die Stimmung war verschwunden, die Szenerie war tot. Das fasziniert mich seitdem ich professionell Wald fotografiere: Landschaften geben fast immer etwas her, im Wald hingegen geht es um Minuten, nicht selten um Sekunden. Es macht also Sinn, Orte immer wieder aufzusuchen.

Meine heutige Ausbeute betrug also zwei Bilder. Nichts Grandioses für die Empfangshalle einer Rechtsanwaltskanzlei, aber ich werde sie als Stockfotos verkaufen können. Meine starke Spezialisierung in der Fotografie engt natürlich auch die Zielgruppe meiner Käufer extrem ein. Für mich ist das in Ordnung, denn ich gehe meiner Leidenschaft nach und renne nicht dem Geld hinterher.

Signifikant mehr kann ich mit aufwändigen, künstlerisch hochwertigen, limitierten Bildern für die Wand oder für Magazine verdienen. Oder aber auch mit der Produktfotografie, für die ich hin und wieder gebucht werde. Ich bewerbe diese allerdings nicht, denn ich bin auch in dem Bereich eher liebevoller Tüftler mit mehr Liebe zur Kreativität als ein im Akkord schießender Studiofotograf, der drei fest installierte Lichtquellen nutzt und Wechselhintergründe. Ich brauche lang und verdiene dadurch logischerweise entsprechend wenig. Und ich habe und entwickle meinen persönlichen Stil. Anders kann – und will! – ich einfach nicht arbeiten. Mir ist das kreative Gestalten, das Ausprobieren, das Nachdenken über Wirkung und letztlich das jeweils beste Ergebnis viel mehr wert als eine Null mehr hinter dem Kontostand.

Tldr: Meine Bilder entstehen aufgrund jahrelanger Erfahrung und Übung, stets mit absoluter Hingabe (und manchmal sogar mit gebrochenem Knöchel) und immer professionell. Das wird sie niemals ändern.


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