Was sind Fotos wert?

Es folgt ein Rant. Eigentlich sind es zwei Rants: Ein genereller über Wert und Wertschätzung und einer, der aus meiner persönlichen Erfahrung aus mehreren Jahrzehnten Medienbranche resultiert. Schnallen Sie sich an, es wird ruppig. Und gehen Sie davon aus, dass nicht Sie zu den wenigen Ausnahmen gehören, für die das Folgende nicht gilt. Aber zuerst ein hübsches Bild, denn Bilder mögen Sie, gell?

Dieses Foto habe ich im Urwald von Białowieża gemacht. Die Reise dorthin und der erste Teil meines Projekts, für das ich den europäischen Urwald besuchen, fotografieren und beschreiben werde, hat mich viel Geld gekostet. Bei 1.000 Euro habe ich einfach aufgehört zu rechnen. Wozu auch weitermachen? Es liegt mir am Herzen, ich mach’s einfach, wenn es irgendwie geht. Vielleicht verkaufe ich genügend Bilder, Magazine und Bücher, um das Ganze zu finanzieren, wahrscheinlich aber nicht.

Andere fahren drei Mal im Jahr in ferne Länder in den Urlaub. Es scheint, als wäre es ihnen einen vierstelligen Betrag wert, ein paar Tage irgendwo zu sein, wo eine andere Sprache gesprochen wird. Klar, warum auch nicht? Es kostet nun einmal viel Geld, sich etwas zu gönnen.

Das Angebot reguliert den Markt

Es kostet kein Geld, sich Bilder anzusehen und Texte zu lesen über Wald. Googeln Sie und Sie werden fündig. Gehen Sie auf eine dieser Bilderseiten, auf denen gratis Fotos angeboten werden, die Amateure gemacht und hochgeladen haben, können Sie ein Foto wie meines herunterladen, einen Abzug machen lassen und an die Wand hängen. Für lau.

Es kostet auch kein Geld, Fotos von diesen Seiten downzuloaden und auf der eigenen Facebookseite als ihr eigenes auszugeben, vielleicht versehen mit einem Poesiealbumsprüchlein. Auch bei Twitter ist es beliebt, diese Fotos zur Illustration eigenen gedanklichen Dünnpfiffs zu nutzen. Schadet ja niemandem. Oder doch?

Ich weiß, dass es schadet. Jeder kann heutzutage relativ professionelle Bilder machen und verbreiten. Dadurch ist eine Masse entstanden, die unüberschaubar ist und damit an Wert verloren hat bis zum Preis Null. Kein Mensch bezahlt für etwas, das er einen Klick weiter kostenlos erhält. Sie kaufen keine Breze bei Bäcker A, wenn Bäcker B im Nebengebäude sie verschenkt. Wären Sie ja blöd. Oder?

Werte verschenken, um Werte zu bekommen

Es wird noch schlimmer, wenn man es unter dem Nachhaltigkeitsgrundsatz betrachtet. Bäcker B wird nicht allzu lang seine Brezen verschenken können, denn es kommt der Tag, an dem er keine mehr hat – und auch kein Geld mehr, welche zu backen. Mehr noch, er wird selbst nichts mehr zu Essen haben. Bäcker A muss diese Zeitspanne nur aussitzen.

Im Handel mit Brezen, Autos und T-Shirts gibt es Gesetze, die verbieten, dass ein Unternehmen seine Produkte unter den eigenen Kosten verkaufen darf. Das Wettbewerbsrecht regelt, dass der Wettbewerb funktioniert und dass alle Marktteilnehmer unter regulären Bedingungen überleben können (wenn sie nicht alles falsch machen).

Bei Textern und Fotografen, also in der Medienbranche funktioniert dieses System nicht (mehr). Printmedien finanzieren sich schon lang nicht mehr über Verkäufe, sondern über Werbung. Im Internet gilt dies zu fast 100%. Das Ergebnis beobachte ich seit 1999. Damals startete das Internet so richtig durch, jeder Verlag unterhielt Webseiten und lud seinen Content gratis hoch. Die Idee dahinter: Im Web liest kein Mensch. Also füttern wir die Leser an und verkaufen noch mehr unserer Zeitungen und Magazine. Saublöd war das. Einer begann, alle zogen nach. Irgendwann stellte man verwundert fest, dass das Konzept nicht so ganz aufging – und ging unter. Fast keine der Zeitschriften, für die ich noch 1999 schrieb, existierte 2001 noch. Erhielt ich 1999 für eine Magazinseite 360 Euro, sind es heute noch 80 Euro. Fachtexte wohlgemerkt, kein Blabla, das jeder Laie zusammenstricken kann.

Heißt? Die Branche ging in die Knie oder starb einen mehr oder weniger stillen Tod – und mit ihr wir, die Kreativen, die Texter, die Fotografen, diejenigen, die davon leb(t)en. Nur ein Beispiel: Die Financial Times Deutschland. Eine tolle Zeitung! Eine seit Jahren tote Zeitung.

Gratiscontent vernichtet Existenzen

Jeder, der ein Bild zustande bringt, das den Ansprüchen von Webseitebetreibern oder Medien genügt, und dieses Bild gratis abgibt, sorgt dafür, dass ein Fotograf, der von seinen Bildern leben muss, arbeitslos wird.

Jeder, der lesbare Texte zu produzieren in der Lage ist, und diese kostenlos in der Lokalzeitung (Print oder Web) publiziert, trägt Schuld daran, dass ein Journalist statt seinen Job machen zu können, eine Nummer beim Arbeitsamt ziehen muss.

Übertrieben? Nein. Ich habe mir die Branche und ihren Verfall nun 20 Jahre lang angesehen. Ich war immer freiberuflich tätig und damit doppelt Betroffene: Unter dem unfassbar raschen und dramatischen Preisverfall unmittelbar leidend und stets auf eigenes Risiko arbeitend. Kein Sozial- und Kündigungsschutz, keine Versetzung in andere Redaktionen, kein Garantiegehalt.

Ich habe 2010 eine wissenschaftliche Arbeit darüber begonnen (aber leider nicht beendet, weil eine Krankheit dazwischenkam) über Zahlungsmodelle für Onlinecontent. Bis heute gibt es kaum vernünftige paid content-Modelle, die Leser zufriedenstellen, dabei wären sie technisch simpel umzusetzen. Es wird nicht gemacht, weil die „Oberen“ noch immer nichts kapieren. Und wenn Content wirklich mal verkäuflich ist, klingelt das Geld in den Kassen der Verlage und kommt so gut wie nie beim Schöpfer des Contents an.

Das Ergebnis des Versagens der Medienbranche hat Berufe verschwinden lassen oder so an den Rand gedrängt, dass davon nur noch eine Handvoll leben kann. (Die Schlussredaktionen, also die Qualitätssicherungen verschwanden als erste.) Die anderen mussten auf Jobs umsatteln, die sie nicht mehr erfüllten, oder gingen stempeln und dann in Rente. Aber nicht nur die Medien haben versagt. Das ganze Contentverbreitungssystem hat sich als Katastrophe für Qualitätsjournalismus und Qualitätsbildmaterial erwiesen. Wie gesagt, warum soll jemand für Text und Bild bezahlen, wenn er es kostenlos erhalten kann? Die Großen, begonnen bei ARD und ZDF machen‘s vor: „Quelle: Internet“.

Wer ist der wahre Schuldige?

Sie. Ich. Wir alle.

Oder können Sie sich freisprechen von der Schuld, sich dort zu informieren, wo es nichts kostet? Wer bezahlt für diese Information? Sie nicht. Wer dann? Der Werbetreibende, über dessen Popups Sie sich aufregen und die sie mittels Blocker zu entfernen versuchen? Der Autor, Filmer oder Fotograf, der (nahezu) kostenlos arbeitet?

Denken Sie je darüber nach, ob das Bild, das Sie betrachten, jemand gemacht hat, der davon leben muss und Ausgaben für Equipment, Software und Reisen hat? Dass der Text, den Sie mit Gewinn lesen, mehrere Stunden Recherche benötigte und viel Sachkenntnis, die ja irgendwie irgendwann mal erlangt worden sein muss? Dass diese Zeit Geld kostet?

Haben Sie schon einmal Text ohne Quellenangabe (Link!) geteilt? Ein Foto getwittert oder bei Facebook zum Besten gegeben, dessen Herkunft Sie nicht kannten? Für die eigene Webseite sich woanders bedient statt ein Bild bei einem Stockfotoanbieter zu erwerben)

Apropos Stockfotos: Der Preisverfall hier ist unfassbar. Sie können ein Foto eines Berufsfotografen für weniger einen Euro kaufen. Er erhält zwischen 10 und 25% davon. Viel Freude und Erfolg mit Ihrem Bild!

Umdenken? Neu denken!

Wir werden nichts mehr an den Gegebenheiten ändern können. Es gilt, neue Wege zu finden. Journalisten haben welche gefunden – von Krautreporter bis Piqd – und sind in der Lage, halbwegs reelle Preise zu erzielen. Leben kann davon niemand, aber es ist eine Ertragsquelle, die es ermöglicht, wieder Qualität zu produzieren. Aber wollen wir das? Oder genügt uns ein Tweet? Ein Instagram-Bildchen? Sind wir überhaupt noch aufnahmefähig für mehr?

Es liegt an jedem von uns, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen.


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