Seitenblicke (1)

Was wären wir Künstler und Handwerker ohne andere Künstler und Handwerker, die uns ihre Sicht- und Herangehensweisen lehren? Wir wären dauerhaft in unseren eigenen Welten gefangen, täten das, was wir immer taten, wie immer, bekämen keine Impulse, lernten nichts Neues. Unsere Arbeiten würden sich immer mehr ähneln, es gäbe keine Unterschiede mehr zwischen dem, was wir von zehn Jahren geschaffen haben und dem, was wir in zehn Jahren schaffen werden. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie sich dieser Stumpfsinn anfühlen muss.

Ich vermute, dass es fast allen Menschen, die etwas schaffen, geht wie mir. Und dass wir deshalb mit offenen Sinnen durch die Gegend (und durchs Internet) streifen, ständig auf der Suche nach etwas, das uns erregt. Denn das ist es, was ich empfinde, wenn ich auf Bilder stoße, die so ganz anders sind als meine eigenen. Ein anderes Genre, andere Techniken, andere Perspektiven. Nichts, was ich zwangsläufig selbst machen möchte (wobei …), einfach etwas, das mich wach macht, mich fragen lässt, ob ich das, was ich da betrachte, zumindest teilweise auf meine eigenen Arbeiten umsetzen kann. Aber genug Erklärung, künftig werden ich Ihnen immer wieder einmal einen Fotografen vorstellen, der mich fasziniert. Heute ist es …

Massimo Listri

Massimo Listri, geboren 1953, begann seine Karriere als Fotograf bereits in sehr jungen Jahren. Bereits als 17-Jähriger arbeitete er mit zahlreichen Zeitschriften zusammen, die sich der Kunst und Architektur widmeten. Er studierte Kunst und Literatur und baute seine Arbeit weiter aus, indem er zahlreiche fotografische Dienstleistungen zu Publikationen beisteuerte, die sich der Kunst, Architektur und Innenarchitektur widmeten. 1981 gründete der Italiener mit dem Verleger Franco Maria Ricci und Vittorio Sgarbi die international renommierte Zeitschrift FMR. 20 Jahre lang füllte Listri sie mit fotografischen Essays über die schönsten Paläste, Villen, Inneneinrichtungen und Architektur aus allen Epochen. Daneben veröffentlichte er mehr als 70 Bücher.

http://massimolistri.com/en/catalogo/detail/26-Istanbul

Ich persönlich fotografiere keine Architektur, weil ich es nicht gut genug kann. So einfach ist das. Aber ich betrachte die Bilder von Architekturfotografen gern, weil ich dadurch viel über Perspektive, Linienführung und Spannung lerne. Massimo Listri ist einer, der die spektakulären Architekturen in den Fokus nimmt – und das widerspricht meinem Gefühl für minimalistischer Ästhetik eigentlich völlig. Trotzdem (oder gerade deshalb?) begeistern mich Listris Arbeiten. Er stellt all diesen Prunk fast nüchtern und rational klar, wie man am obigen Bild aus dem Palazzo Topkapi in Istanbul gut erkennen kann. Sie sollten sich einfach mal durch seine Galerie klicken, es lohnt!

Worauf ich Ihren Blick aber lenken möchte, sind Listris Fotos aus Bibliotheken. Hier wird mein „Weniger ist mehr-Sinn“ angesprochen. Mit diesen beiden Bildern aus der Bibliothek St. Emmeram in Regensburg beispielsweise. Ich frage mich sofort, wie es dort riechen mag …

http://massimolistri.com/en/catalogo/detail/13-Libraries
http://massimolistri.com/en/catalogo/detail/13-Libraries

Und weil ich die Perspektive ansprach …

Dieses Foto mag düster und kalt wirken – und doch ist da dieses Licht. Licht ist Leben, ist Hoffnung, ist Freiheit. Licht wirkt. Immer. Auch und besonders hier in der Biblioteca Malatestiana.

http://massimolistri.com/en/catalogo/detail/13-Libraries

Die Biblioteca San Marco ist heller, trotz der tristen Farben im Vergleich fast schon freundlicher. Doch ihre Fluchten sind ebenso klar, ziehen den Betrachter (und Besucher) in die Tiefe des Raumes. Hier ist alles korrekt, hier stört nichts. Trotzdem würde der Blick des Besuchers nach links und rechts gehen, wenn der durch diese Tür tritt. Spannend, dieses Foto!

http://massimolistri.com/en/catalogo/detail/13-Libraries

Ich weiß natürlich, wie man Architektur fotografiert (in der Regel mittels eines Tilt-Shift-Objektives), vermutlich würde ich es sogar halbwegs hinbekommen. Jeder Fotograf sollte im Grunde jedes Foto machen können, wenn er sein grundlegendes Handwerk versteht. Natürlich versucht man es auch und es macht Spaß und man lernt viel dabei. Dennoch ziehe ich Natur vor. Es ist das Lebendige, das mir an Fotos wie den hier gezeigten fehlt.

Eine der Galerien Listris, durch die ich mit Freude streife, heißt „Unter Contruction„. Sie wissen ja, ich fotografiere gern und viel lost places, allerdings nur mit mindestens 50 Jahre alten Kameras und auf Film. Ich finde meine „Schrottimmobilien“ meist im Allgäu auf Spaziergängen und Radtouren. Da ist nichts geplant, ich habe kein besonderes Objektiv oder gar Stativ dabei. Es sind einfach Schnappschüsse. Massimo Listri macht aus Baustellen Kunstwerke. Schauen Sie mal rein! Mein Lieblingsbild ist dieses:

http://massimolistri.com/en/catalogo/detail/15-Under+Construction

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