Let’s KISS!

Schluss mit Blende und ISO, Perspektive und Komposition! Höchste Zeit, dass wir in diesem Blog endlich zum Punkt kommen. Sex sells bekanntlich und darum dreht sich in diesem Beitrag alles ums Küssen. Wir alle sollten es tun, denn es hat so viele Vorteile, dass wir dumm wären, sie zu ignorieren. Also los: KISS!

Sie ahnen es bereits, ich bin ein Spießer und deshalb geht es hier eben doch wieder nur um die Fotografie. Aber bleiben Sie mir gewogen, ich habe nämlich ein paar Tipps für Sie, die ich zwar fotografisch meine, die Sie aber durchaus auf alle Lebensbereiche anwenden können.

Keep It Simple, Stupid!

K.I.S.S. wird bei Wikipedia gut aber langweilig erklärt. (Sorry.) Ich hab’s also nicht erfunden, aber ich wende es an. Mal erfolgreich, mal weniger. Wenn weniger, dann allein deshalb, weil ich es eben nicht wirklich anwende. Auf die Fotografie übertragen, bedeutet K.I.S.S.

  • … dass nicht das aktuellste, größte und teuerste Kameramodell benötigt wird, um erstklassige Fotos zu machen.

Die meisten Fotografen haben tendenziell weniger Geld und nutzen entsprechend ältere Geräte. (Man muss es einfach so deutlich sagen: Nur wenige Fotografen werden reich, die Reichen waren es meist bereits vorher.) Ältere Kameras zu verwenden hat fast nur Vorteile: Man kennt sie in- und auswendig, was für Sicherheit und Geschwindigkeit sorgt. Kein Nachdenken, kein Vertun, volle Konzentration auf das Motiv.

  • … dass man vor dem Objektivkauf weiß, ob und wofür man es benötigt und ob nicht doch ein vorhandenes genauso gut genutzt werden kann.

Objektive wecken neben Kameras bei uns Fotografen das größte Begehren. Es muss immer noch eine Spur lichtstärker, noch besser vergütet, noch schärfer, noch … was auch immer sein. Picken wir doch ein paar ganz typische Beispiele heraus:

  • Wer nutzt ein 85mm f1,8 oder f2,8? Porträtfotografen. (Und nur die, wie immer wieder bewiesen wird.)
  • Wer braucht ein lichtstärkeres Objektiv als f1,8? Astrofotografen und Nachtfotografen (letztere seltener).
  • Wer hat Bedarf an Macro-Objektiven? Insekten- und Blumenfotografen und ein paar Freaks, wie ich, die auf Details stehen, kommen auch noch dazu. Ich habe ein 70mm f2,8 Macro, das ich ein, zwei Tage im Jahr auf die Kamera schraube. Und das ist im Frühjahr, wenn ich ein paar schöne Blüten sehe. Da ich das Objektiv sehr günstig gebraucht erstanden habe, „musste“ es in meinen Equipmentschrank einziehen. Den Rest des Jahres, also zu 99 Prozent, fotografiere ich freistellend mit längeren Brennweiten. Ganz ohne Macro-Funktion.
  • Wer nutzt Teleobjektive mit mehr als 250-300mm Brennweite? Wildtierfotografen. Die schleppen gern auch 500mm f2,8 mit sich herum und sparen sich das Fitnessstudio. Nun ja, und ich. Mein längstes Tele ist ein 120-400mm, das ich sehr viel eingesetzt habe, bis ich mir endlich ein 70-210mm f4 geleistet habe. Leichter, kompakter und sehr gut! Da ich eine Vollformatkamera verwende, kann ich croppen, komme also ohne Detailverluste auch auf 400mm, wenn ich das möchte.
  • Wer schraubt Weitwinkelobjektive unter 35mm an seine Kamera? Landschaftsfotografen. Für die darf es gern sogar zwischen 16 und 35mm sein. Auch ich habe ein solches Zoom; gekauft habe ich es gebraucht sehr günstig für einen Auftrag, es wurde also quasi vom Kunden bezahlt. Ich habe es nie bei mir, denn ich kenne einen alten Trick: Panoramen. Man nehme ein Stativ oder habe eine ruhige Hand, drehe die Kamera auf Hochformat, peile einmal die gewünschte Linie an, um zu sehen, wie das Panorama aussehen wird, stelle alles inklusive Fokus ein und bringe dann die Kamera in diesem Zustand in den manuellen Modus (inklusive manueller Fokus) und mache mindestens drei, besser mehr Fotos. Beim Schwenken darauf achten, die Achse zu halten und jedes Bild mindestens zu einem Drittel überlappen zu lassen. Zu Hause lasse man Photoshop oder ein anderes Programm die einzelnen Bilder zusammenfügen und ausrichten – fertig!
  • Festbrennweiten aller Art. Ja, ich weiß: Festbrennweiten sind toll. Scharf. Lichtstark. Leicht. Klein. Und und und. Und niemand hat sie jemals dabei, sondern arretiert ein Zoom zwischen 24 oder 35 und 70mm an seinen Kamerabody und nimmt gegebenenfalls noch ein 70-200 f2,8 oder f4 mit. Macht ja auch Sinn, wenn man nicht ständig wechseln (und den Sensor reinigen) will. Ich nenne zwei Festbrennweiten mein Eigen: ein 50mm f1,8 aus dem Grund, weil man es haben muss. Verwendet habe ich es noch nie. Das zweite ist vorhin genanntes 70mm f2,8 Macro. Auf beide könnte ich verzichten. Eine Lanze muss ich an dieser Stelle für alle Puristen brechen, die nur mit Festbrennweiten fotografieren und das dann meist mit einem 35mm-Objektiv tun. Auch ich gehöre (wieder) dazu, denn analog arbeite ich im Moment ausschließlich mit 29mm. Warum? Weil ich die Motive, die ich auf Film belichte, nicht „machen muss“, sondern kann. Darf. Ober eben auch nicht. Es macht Spaß, die Herausforderung anzunehmen, mit nur einer Brennweite aus dem Haus zu gehen. Machen Sie das mal! Beruflich allerdings macht es einfach keinen Sinn.
  • Soll ich weitermachen? Okay, ich quäle Sie noch ein bisschen: Sie haben doch sicher einen Blitz zu Hause?! Brauchen Sie ihn? Ich nicht. Meine favorisierte Ausleuchtung ist eine mit Dauerlicht, entsprechend habe ich mehrere Lampen. Fotografieren Sie Porträts oder haben keine Möglichkeit, Dauerlicht aufzubauen, nutzen Sie Ihren Blitz, allerdings sollten sie entfesselt … okay, ich bin ja schon still. Das ist ein ganz anderes Thema.

Beim Equipment könnte ich noch eine ganze Weile weiterschreiben, aber ich denke, Sie haben verstanden. Wir alle haben fünf Kameragurte herumliegen, ein Batteriegriff verstaubt im Schrank, zehn Kamerataschen oder -rucksäcke stapeln sich im Keller, drei ND-Filter sowie der obligatorische UV-Filter würden ohne die Gesellschaft zweier Fernauslöser und dreier Stative mit drei verschiedenen Wechselplatten ein einsames Dasein fristen.

K.I.S.S. ist mehr als Beschränkung beim Equipment

Keep it simple bedeutet also zu wissen, was man benötigt. Nein: Was man wirklich benötigt. So wie uns mehr Equipment nicht zu besseren Fotografen macht, macht mehr Inhalt ein Bild nicht zwangsläufig besser. Das Wesentliche zu erkennen, das Entscheidende herauszufiltern, die Aussage und Geschichte eines Bildes herauszuarbeiten, ist Aufgabe eines Fotografen und Bildbearbeiters. Um mehr geht es schlicht nicht, wenn wir Bilder machen.

Kein Betrachter, Käufer oder Sammler wird unsere Bilder bewundern, weil sie mit einer Canonikon oder mit einer Sonfuji aufgenommen wurden. Keine Sau – pardon – juckt es, ob das verwendete Objektiv 200 oder 5.000 Euro gekostet hat. Wichtig ist, dass es Licht gebündelt und auf den Sensor gebrannt hat. Letztlich ist nicht einmal entscheidend, ob das Bild scharf ist. Die weltbesten Fotos wurden in miesem Licht gemacht, sind verwackelt oder der Fokus sitzt irgendwo drei Meter hinter dem Motiv. Egal. Das Bild ist gut, weil es genau das zeigt, was es muss, keinen Millimeter mehr.

Ein Beispiel aus meinem eigenen Portfolio, anhand dessen ich zeigen will, dass ein Weglassen auch bei Farbe sinnvoll sein kann. Der Nebel über dem Schwarzwald hatte es mir an diesem Tag angetan. Eingefangen habe ich ihn mit einem starken Teleobjektiv.

Wo keine Farbe nötig war, habe ich sie beim Entwickeln weggelassen. Sie hatte nichts Entscheidendes beizutragen, bot keinen Mehrwert. Zudem war der Nebel grauweiß, die Bäume schwarzgrün, der Himmel grau vom Nebel. Wenig attraktiv also. Als der Himmel mir jedoch Farbe anbot, als also der Schwerpunkt vom reinen Schattenspiel hin zum Farbenspiel verschoben wurde, war klar, dass das fertige Bild kein schwarzweißes mehr sein würde. In diesem Zusammenhang sei die Frage beantwortet, ob ich Motive sehen würde oder fertige Bilder. Ich sehe Bilder. Beim ersten Foto sah ich schwarzweiß, beim zweiten farbig.

Zwei weitere Beispiele sollen die Reduktion auf einen Ausschnitt verdeutlichen. Auch diese Bilder habe ich so gesehen und fotografiert. Sie wurden nicht beschnitten. Warum die Farbe im zweiten Bild? Weil da Farbe ist! Ohne dieses zarte Gelb wäre das Bild langweilig.

Hätte ein Mehr den beiden Bildern geholfen? Hätten Sie das Unterholz, das Gestrüpp, sehen wollen? Hätte Ihnen das Gesamtbild, das Chaos gefallen? Wohl kaum. Auch die Lärche wirkte nicht als Ganzes oder gar in Verbindung mit ihren Nachbarn, sondern nur, weil einige ihrer Äste von der Wintersonne beleuchtet wurden. Ein paar Sekunden nur stach dieser Baum aus der Masse heraus – und nur er! Danach verschwand er wieder im Nichts.

Diese Momente zu sehen und einzufangen ist unser Job als Fotografen. Zu zeigen was ist und nicht mehr. Wir beurteilen, wir wägen ab, wir komponieren, wir setzen technisch um, wir präsentieren. Unser Publikum hebt Daumen, dann freuen wir uns und ziehen Bestätigung daraus und Motivation. Oder es senkt die Daumen, auch damit müssen wir leben. Aber ehrlich: Je sauberer wir arbeiten, desto mehr Daumen gehen nach oben. Kein Mensch hat mich je nach der benutzten Kamera und dem verwendeten Objektiv gefragt, auch nicht bei hochpreisigen Bildern. (Da erst recht nicht, denn Sammler haben andere Beurteilungsmaßstäbe als Hobbyfotografen, denen es ums Lernen und Nachmachen geht.)

Und K.I.S.S. ist noch mehr. Viel mehr!

Instagram ist voll von tollen Landschaftsfotos. Und weil das extrem inspirierend wirkt, sind die Flugzeuge voll mit Menschen, die dorthin wollen, um dort ihr Foto zu machen. Dieses wird sich zwar nicht von all den anderen tausenden Exemplaren unterscheiden, wahrscheinlich wird es sogar schlechter sein, aber es muss gemacht werden. Offenbar und offensichtlich. Ich habe die Erfahrung genau ein Mal gemacht, an einer Location zu fotografieren, an der jeder, der eine Kamera bedienen kann, schon einmal war. Ich stand zum Sonnenuntergang am Canal Grande in Venedig und hielt meine Kamera ans Auge. Es wird das letzte Mal gewesen sein.

Auch das ist K.I.S.S.: Abenteuer und Erlebnisse, Motive und Fotos kann man auch finden, wenn man aus der Haustür tritt, losläuft, zwei Mal links und ein Mal rechts abbiegt und sich dort umschaut. Probieren Sie’s mal! Ich habe auf diese Weise nette Menschen kennengelernt – nachdem ich 20 Jahre hier im Dorf lebe! – und tolle Motive gefunden. Motive, die niemand sonst jemals fotografiert hat, die niemand in einem Kaff in Bayern verortet und die doch jeder interessant findet. Laufe ich ein paar hundert Meter weiter, bin ich in einem Wald (okay, in einem Forst, der vielleicht auf dem Weg zu einem Wald ist) und kann Pilze, Tannenzapfen, moosige Wurzeln und anderes mehr fotografieren.

Motive findet man vor der eigenen Haustüre

Langweilig? Sie finden den Horseshoe Bend interessanter als mein Flüsschen? Mag sein, dass er das ist. Spektakulärer auf alle Fälle. Doch mein Flüsschen gehört mir. Ich kann dorthin, wann immer ich will, bin stets allein und habe meine Ruhe. Finde genau den Standpunkt für mein Stativ, den ich in diesem Moment brauche. Werde nicht von anderen Fotografen zugetextet oder gar aus Bluetooth-Boxen beschallt. Muss nicht fliegen, keine Urlaubstage investieren, kein Geld ausgeben. Schone die Umwelt und meine Finanzen. Und ich habe die Ruhe, die ich benötige, um meine Motive zu erspüren.

(P.S.: Zu Bildern und Gefühlen habe ich vor ein paar Tagen etwas geschrieben …)


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