Lassen Sie uns über Wald reden

Eine Eiche kommt mit 60 Jahren in die Pubertät. Unter idealen Bedingungen kann sie bis zu 1.000 Jahre alt werden. Ideal ist dabei nicht unbedingt das, was wir Menschen vermuten, denn Bäume leben mit Jahreszeiten, Stürmen, Frösten, Hitzen und Dürren. Bis zu einem gewissen Grad können sie sich nicht nur darauf einstellen, sondern benötigen Extreme sogar, um zu reifen und abzuhärten. So findet man Eichen eher in klimatischen Regionen, die wir als rau bezeichnen, als in Gebieten, in denen wir das ganze Jahr Urlaub machen. 

Das gilt im Übrigen auch für Fichten. Dass unsere Ahnen sie im Schwarzwald angesiedelt haben, hatte nichts damit zu tun, dass Fichten das Klima dort schätzen, sondern damit, dass man das Holz benötigte. Der Schwarzwald ist eine Holzplantage. Heimisch sind Fichten in Europa vorrangig in Sibirien und in Finnland. Das Klima dort? Ungemütlich. Hierzulande werden Fichten – sofern man sie lässt – rund 300 Jahre alt; die älteste Fichte steht jedoch in Schweden und ist mehrere tausend Jahre alt. Auch die Fichtenwälder in Russland und Finnland sind Urwälder.

Zerstörung und Vernichtung

Wie gesagt, Fichten sind bei uns Holzlieferanten und deshalb nimmt man keine Rücksicht darauf, dass ein gesunder Wald Bäume aus allen Lebenszyklen benötigt. Nur 4,5 Prozent aller deutschen Bäume werden älter als 140 Jahre. Damit sind sie gerade aus dem Teenageralter heraus. Vor allem die Bäume, die nicht kerzengerade in den Himmel wachsen, werden gefällt oder mit Erntemaschinen (Harvestern) aus dem Wald gerissen. Dass dabei Schäden an den umstehenden Bäumen entstehen, wird als unvermeidlich hingenommen. Warum soll man sich auch darum kümmern, wenn doch kaum ein Baum erwachsen werden darf? Wenn sich die Verletzungen an der Rinde bemerkbar machen, liegt der Stamm ohnehin bereits auf Halde oder im Sägewerk.

Die Äste wiederum werden gehächselt und verbrannt. Liegen bleibt nicht viel, denn jeder Ast ist Geld. Dass damit dem Wald Nährstoffe vorenthalten oder gar entzogen werden, die er dringend benötigt, und er als (eine) Folge davon in schlechtem Zustand ist, wundert da kaum. Mehr noch, der Boden wird nicht nur ausgelaugt, sondern durch die schweren Fahrzeuge, mit denen Wälder bewirtschaftet werden, so stark verdichtet, dass an dieser Stelle alles Leben vernichtet wird und sich auf absehbare Zeit auch keines mehr entwickeln wird. Samen, die in der Erde ruhen, sind zwar robust, aber so robust dann auch wieder nicht. Und Würmer und Insekten …

Und es kommt noch schlimmer. Die Forstwirtschaft ist seit zwei bis drei Jahrhunderten der Überzeugung, dass Wald durchforstet werden muss, um ihn gesund zu erhalten. Nachhaltigkeit nennt sie das. Dazu gehört, dass krumme, kleinwüchsige Bäume entfernt werden, aber auch solche, die den vom Förster als Zukunftsexemplare ausgewählten zu nahe kommen. Bäume, so die noch heute gängige Lehre, machen einander Lebensraum und Nahrung streitig. Dass das nicht stimmt, ist längst gut erforscht, doch es kommt nicht bei der auf Gewinnmaximierung fokussierten Forstwirtschaft an.

Wald erfüllt eine wichtige Aufgabe

Man weiß seit Jahrzehnten durch wissenschaftliche Experimente (etwa im Bayerischen Wald), dass Wälder, die man in Ruhe lässt, sich selbst regulieren und renenerieren. Keine Verdrängung, ein Miteinander. Und das über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg. Ein Wald ist keine Summe an einzelnen Bäumen, er ist ein Ökosystem, in dem jede Zelle ihre Aufgabe hat, ob als Tier oder Pflanze. Nur Vielfalt kann Wald stärken und alt werden und damit seinen Aufgaben nachgehen lassen.

Wälder produzieren Sauerstoff, speichern CO2 und reinigen die Luft von Schadstoffen. Sie schaffen humusreiche, gut durchlüftete Böden, die wiederum Wasser wie ein riesiger Schwamm aufsaugen und festhalten und damit die Landschaften vor Erosion und Überschwemmung schützen. Einem gesunden Wald können auch die als Waldkiller verdammten Borkenkäfer nichts anhaben. Stirbt ein Baum, dient sein verrottendes Holz vielen Lebewesen als Nahrung.

Bei all den Vorteilen, die Wald hat, gilt es jedoch zu betonen, dass Wald stets Vielfalt ist. Ein reiner Fichten- oder Kiefernforst ist – zumindest hierzulande – kein Wald, sondern eine menschengeschaffene Monokultur, eine Plantage. Dass nun schnellwachsende Nadelbäume wie die Douglasie als Retter der Holzindustrie nach dem ziemlich sicher bevorstehenden Klimawandel gelobt wird, mag aus rein kapitalistischen Erwägungen heraus nachvollziehbar sein. Mit Wald aber werden auch diese Forste nichts zu tun haben.

Eichen leiden, Lärchen sterben

Wer sich umsieht auf den Feldern und die eigentlich so stattlichen Eichen mit nur wenig grau-braunem Laub dahinvegetieren sieht, glaubt das Ende der Bäume schon gekommen. Ich konnte bis jetzt nicht herausfinden, was den Eichen in diesem Jahr fehlt. Ist es die Hitze, die sie so schlaucht? Die Sonne? Die gab es eigentlich immer, die meist frei stehenden Bäume mussten schon immer ohne Schatten und mit wenig Wasser zurecht kommen. Trockenheit hatten wir bei uns eigentlich nicht zu beklagen und übermäßig gedüngt wurde auch nicht, darauf habe ich geachtet. Ein Pilz vielleicht? Gemutmaßt wird viel, doch eine überzeugende Erklärung habe ich noch nicht gelesen.

Ganz schlimm ist es in unserer Region um die Lärchen bestellt. Ich kenne einige Lärchenfamilien und -siedlungen, habe diese wunderschönen Bäume im Herbst oft fotografiert. Doch dieses Frühjahr kamen sie einfach nicht mehr. Sie blieben nicht nur nadellos stehen wie im Winter, sie wirken seitdem wie tot. Was ist los mit ihnen? Sind sie tot? Oder „nur“ krank? Wovon? Und warum unabhängig von ihrem Standort? Auch das konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen.

„Meine“ Buchen bräuchten eine Reha

Und die Buchen? Die Bäume, die es mir so angetan haben? Die ich so oft besuche und fotografiere und deren Sozialverhalten ich in meinem Fotobuch beschrieben habe? Sterben sie, wie es zur Zeit von vielen Medien herbeigeschrieben wird? Ich denke nicht. Ja, den Buchen geht es in diesem Jahr nicht gut. Das rührt aber vor allem daher, dass das vergangene Jahr ein sogenanntes Mastjahr war, in dem Buchen Früchte ausbilden. Das schlaucht die Bäume gewaltig. Sie hätten dieses Jahr eine Art Reha-Urlaub gebraucht, den ihnen das „schöne“ Sommerwetter jedoch nicht zugestanden hat. Stattdessen mussten sich die Buchen mit Sonnenbrand herumschlagen, litten Durst und plagten sich mit Pilzen herum, die ihnen normalerweise wenig anhaben können. Ich glaube – ich hoffe! -, dass sich die Königinnen des Waldes nächstes Jahr erholen.

Ist der Urwald noch gesund?

Auch meine Kontaktpersonen in Nordostpolen machen sich Sorgen. Doch sie haben weniger Grund als wir hierzulande, denn je größer, älter und naturbelassener ein Wald ist, desto resilienter ist er. Er kann mehrere problematische Jahre durchstehen, lebt auch dann noch, wenn unsere kleine Waldgebiete längst am Ende sind. Schiere Größe ist also ein kaum hoch genug einzuschätzender Vorteil. Doch auch im streng geschützten Urwald Europas wird gerodet. Dazu habe ich unlängst etwas geschrieben.


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