Foto vs. Bild – meine Philosophie

Fotografieren kann heutzutage jeder, der ein Smartphone hat. App aufrufen, Handy aufs Motiv richten, <klick>. Aus der App heraus kann man das Foto unmittelbar verschicken oder auf sozialen Medien teilen. Wenn man ein williges Folg hat, erntet man mehr Likes, Herzchen und Emojis als der Berufsfotograf, der aufwändige und damit in der Regel teure Fotos macht. Deprimierend? Oder logische Konsequenz aus der technischen und gesellschaftlichen Entwicklung der vergangenen 15 Jahre?

Man hat bereits vor Jahren einen treffenden Begriff gefunden für diese Art Fotografie: (Insta-) Grammen. Der etwas wissenschaftlichere, der das Phänomen zusammenfasst, ist die Instagrammisierung der Fotografie. Mit der Plattform hat dies nur noch indirekt zu tun, sie gab nur den Startschuss. Um nicht missverstanden zu werden: Es ist nichts Falsches am Festhalten und schnellen Teilen von Entdeckungen und Erlebnissen, im Gegenteil!

Selfie vor dem Langkofel bei Wolkenstein in Südtirol.

Lassen Sie uns über Selfies reden, allein, weil sie so beliebt sind. Ich mag keine Fotos von mir selbst, Ausnahmen müssen schon besonders gelungen sein, damit ich sie akzeptieren kann. Das obige (das kein Selfie im eigentlichen Sinne ist, denn ich habe jemandem meine Kamera mit allen Anweisungen in die Hand gedrückt und gehofft, dass die Kamera am Leben bleibt) ist eines davon. Analysieren wir doch mal, was daraus geworden ist.

Komposition und technische Ausführung

Dass die Regeln des goldenen Schnitts eingehalten wurden, die Perspektive und der Ausschnitt gelungen sind, eine Diagonale auf das Motiv, in diesem Fall mich, hinführt, die Schärfe von vorn bis hinten passt, die Belichtung und der Weißabgleich korrekt sind – geschenkt. Das erwarte ich auch von einem Instagram-Foto. Ich weiß, dass das in den meisten Fällen ein Zuviel an Anspruch bedeutet, aber ich bin nun einmal Fotografin und kein Fangirl.

Storytelling and more

Man kann unschwer erkennen, wo ich mich befand. Auch die Jahreszeit ist klar. Dass ich zu Fuß unterwegs war, womöglich wandernd, sieht man ebenfalls. (Wobei der Rucksack kein Wander-, sondern ein Fotorucksack ist, aber egal.) Dann schaue ich noch nach oben, was darauf schließen lässt, dass sie dort – tätäää! – noch höhere Berge befinden. Alles in allem lässt das Foto wenig vermissen. Oder?

Hm. Ganz ehrlich? Das Foto ist nett. Ich mag es. Aber mehr als ein Erinnerungsfoto ist es nicht. Irgendwas fehlt. Aber was? Als ich noch grübelte, rannte mein Hund ins Panorama. Den wollte ich diesmal nicht als Objekt des Interesses, denn wenn er auf einem Foto zu sehen ist, schaut kein Mensch mehr auf mich. (Ja, manchmal bin sogar ich eifersüchtig, vor allem, wenn es mir ausnahmsweise mal um Selbstmarketing geht.) Also rief die Frau hinter der Kamera den Hund zu sich – und drückte versehentlich ab.

Flying Carpet und irgendeine unbedeutende Person.

Bei diesem Foto lief eigentlich alles schief – und das macht es so erfrischend und – ja: wunderbar. Es ist ein echter Schnappschuss. Der Ausschnitt passt nicht mehr, ich schaue irgendwohin auf der Suche nach einem besseren Standort fürs nächste Foto … Aber dieses rasende Fellbündel mit der roten Zunge und diesem ewigen Lachen im Gesicht! Das ist mein Lieblingsfoto der ganzen Reise.

Emotionen und Stimmungen

Was hat nun dieses Foto? Was unterscheidet es vom obigen? Genau: Da sind Spiel, Spaß und Spannung. Da sind Emotionen. Da ist etwas Unvorhergesehenes und Unwiederbringliches. Das macht dieses Foto zum besseren Foto, obwohl technisch einiges im Argen liegt. Dort Statik, hier Aktion. Auf solche Situationen warten und hoffen Sport- und Wildtierfotografen. Und weil ich auch gern mal auf etwas sich flott Bewegendes „schieße“, hier ein paar Beispiele. (Der Herr in Schwarz mit der Nummer 5 ist übrigens Heino Ferch. Und nein, ich war nicht als Paparazzi unterwegs, sondern fotografierte ein Polotournier.)

Zurück zur Eingangsfrage, die die Überschrift impliziert: Was unterscheidet ein Foto von einem Bild? Bis jetzt sprach ich ausschließlich von Fotos, ich weiß nicht, ob Sie’s bemerkt haben.

Was hat ein Bild, was ein Foto nicht hat?

Die Diskussion könnte auch lauten: Wann wird Handwerk zu Kunst? Ich habe mir meine Meinung dazu gebildet. Ob diese von Dauer sein wird? Vermutlich nicht, denn ich bin ein Mensch, der Veränderung schätzt – auch und vor allem bei mir selbst. Man nennt das wohl Persönlichkeitsentwicklung. Heute denke ich so darüber:

Stellen wir uns einen Brunnen vor einer Kirche in Rom vor. Ein Mann positioniert seine Frau, geht 25 Meter zurück und drückt auf den Auslöser. Auf dem Bild ist alles zu sehen, was die Szenerie hergibt, inklusive Frau. Dass die leider nicht erkennbar ist, weil sie in dem ganzen architektonischen Überfluss untergeht, ist eben Pech. Was das Paar will, ist klar: eine Erinnerung. Ich nenne diesen Vorgang knipsen. Geht man vom Knipsen weg und über zum Fotografieren, macht man sich deutlich mehr Gedanken über Motiv(e), Standort und Perspektive sowie Bildausschnitt. Möglicherweise sind Lichteinfall und Reduktion bereits ein Thema. Es entstehen aber noch immer „nur“ Fotos. Bessere zwar, aber noch keine Bilder.

Fotografen sind Handwerker und manchmal auch Künstler

Fotografie ist in erster Linie Handwerk, das man lernen kann und meiner Ansicht auch nach lernen sollte. Es lohnt sich! Es gilt natürlich einiges zu beachten, das man aber überall im Internet nachlesen oder bei Youtube ansehen kann. Auch ich gebe bereitwillig Tipps, wenn man mich fragt. Es sind keine Geheimnisse, es ist Wissen, das wir von den Malern vergangener Jahrhunderte übernommen haben. Achtet man auf die Grundregeln, werden Fotos ansprechender, interessanter und unter Umständen auch weniger irritierend. (Stichwort „schiefer Horizont“. Der ist eine Nachlässigkeit, die ich nur extrem selten hinnehme.) Ich empfehle also grundsätzlich, die Basics zu lernen. Hat man einen guten Lehrer, wird man rasch Erfolge haben. Kein Fotograf kann sich alles selbst beibringen – warum auch?

Gehen wir davon aus, dass das Fotografieren, also das Handwerk sitzt. Dass das Equipment blind bedient wird, die Einstellungen ohne langes Überlegen korrekt (oder auch absichtlich unkorrekt) angewandt werden, dass die Motivwahl bewusst getroffen und wie gewünscht in Szene gesetzt wird, dass ein Foto auch einmal nicht gemacht oder verworfen wird und so weiter. Mit diesen Fähigkeiten und Fertigkeiten kann man wunderbar spielen. Man kann Kompositionsregeln brechen, mit Belichtungszeiten und Tiefenschärfen experimentieren und vieles mehr. Aber wie gesagt: Man muss wissen, was man tut. Glauben Sie mir, man sieht, ob etwas gewollt ist oder gekonnt!

Machen wir nun endlich Bilder?

Bis hierher werden mir vermutlich noch alle Fotografen zustimmen. Gleich aber werden unsere Meinungen möglicherweise auseinandergehen. Ich adle ein Foto nämlich nicht dann zum Bild, wenn es fotografisch perfekt umgesetzt und nach allen Regeln der Photoshopkunst bearbeitet wurde, sondern dann, wenn es ein Gefühl oder eine Stimmung in sich trägt. – Soll ich das große Wort bemühen? Ja, ich tu’s: Ein Bild muss eine Seele haben.

Ich habe vor Jahrzehnten E-Bass gelernt. Mein Lehrer erklärte mir, es käme nicht nur auf den korrekten Takt an, sondern darauf, dem Instrument seinen eigenen Herzschlag zu übergeben. Dann erst entstünde der Groove, den Musik ausmacht. Ich war leider als Musikerin weniger talentiert als ich es gern gehabt hätte, aber ich verstand irgendwann, was er meinte. Das war der Tag, an dem ich das Instrument aufgab. Ich konnte den Bass bedienen, ich hatte Freude damit, aber der Bass beeinflusste mich, nicht ich ihn. Er gab mir etwas, nicht ich ihm.

Nur wenn man Gefühle gibt, wird man Gefühle auslösen

Ähnlich wie bei Musik geht es Menschen mit Bildern. Sie betrachten sie und empfinden etwas. Ich finde, wir Fotografen sollten wie Musiker in der Lage sein, unseren „Produkten“ unsere Emotionen, mehr noch, unsere tiefen Gefühle mit auf die Reise zu geben. Wenn wir das schaffen, wenn wir unsere Bilder spüren und nicht einfach nur Motive sehen, werden wir Menschen bewegen. Erst dann werden wir Bilder statt Fotos machen.


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