Filter, Presets, AI und „out of camera“

Ich verwende niemals Filter, nutze keine Presets und akzeptiere nur im Notfall eine automatische von einer Software oder Kamera vorgegebene Entwicklung (von Fotografen auch despektierlich „Auswurf“ genannt). Warum? Weil kein noch so guter Algorithmus erkennt, was ich als Fotograf sehe und empfinde.

Ja, es gibt gute Algorithmen, sehr gute sogar. Der gerühmte „Accent AI-Filter 2.0“ in dem von mir gern und oft genutzten Luminar wirkt in seiner Macht erstaunlich, doch bei Licht besehen tut er nicht viel mehr als Tiefen anzuheben, Lichter abzudunkeln und, wenn das noch nicht geschehen ist, Weiß- und Schwarzpunkte zu suchen, also den perfekten Kontrast herzustellen. Mit AI hat das wenig zu tun, das ist ganz normale RAW-Entwicklung.

Wenn man sich auf die Intelligenz einer Software verlässt …

Nachfolgend ein Beispiel. Das linke Foto wurde RAW-entwickelt, es wurden aber keine Tiefen angehoben. Auch sonst wurden keine weiteren Bearbeitungen vorgenommen. Rechts habe ich den „Accent AI-Filter 2.0“ auf 50 Prozent gezogen. Was er gemacht hat, ist (beim Klick auf die Bilder vergrößert) deutlich zu sehen: Er hat die Tiefen aufgehellt. Sonst nichts. Den „Sky Enhancer“ erspare ich Ihnen, er hat einfach nur den Himmel abgedunkelt und die Sättigung erhöht – leider auch beim Meer. Also nicht viel los mit Artificial Intelligence.

Natürlich geht es flotter, wenn man an einem einzigen Regler zieht, statt an mehreren verschiedenen, bei denen man auch noch wissen muss, welche Wirkung jeder einzelne hat und wie man alle aufeinander abstimmt. Vor allem, weil das ja nicht genügt, denn da sind noch mehr Regler. Und Reiter. Und und und.

… ist man schlechter dran, als wenn man seiner eigenen vertraut.

Ich gestehe jedem Fotografen zu, sich das Leben leicht zu machen. Vor allem bei Event- und Sportfotografen ist Zeit Geld. Faulheit sollte jedoch kein Argument für technisch schlecht entwickelte Fotos sein. Ahnungslosigkeit auch nicht. Bei Youtube gibt es tausende Videos allein zur RAW-Entwicklung. Kostenlos!

Doch ich glaube, es ist nicht unbedingt Faulheit oder Unwissenheit. Es ist mehr. Es ist ein falsch verstandenes Bild von digitaler Fotografie oder falsch interpretierter Purismus. Früher, so heißt es immer wieder, habe man seine Bilder schließlich auch nicht bearbeitet. Falsch.

  • Früher hat bereits die Wahl des Films entscheidend beeinflusst, wie die späteren Fotos aussehen würden. Heute fügt man grain hinzu.
  • Früher hatte man auch keine schlechteren Kameras und Objektive als heute und konnte von depth of field über floating waters bis hin zu focus stacking so ziemlich alles beeinflussen.
  • Früher hat man öfter als heute – fast schon automatisch – mit Blitz und Dauerlicht gearbeitet, um dunkle Bildteile und Vordergründe aufzuhellen.
  • Früher hat man seinen Film im Labor abgegeben, wo er entwickelt wurde. Entweder nach Schema F oder individuell. Es kam auf das Labor an und auf den Preis, den man zu bezahlen bereit war. Daran hat sich nichts geändert.
  • Früher hat man im Labor nicht weniger intensiv experimentiert und manipuliert, wie man es heute am Computer tut.
  • Früher wurden ebenso wie heute Ausschnitte gewählt, die das für den Fotografen Wesentliche zeigten.
  • Früher konnte man Störendes ebenso verschwinden lassen wie heute. Auch früher waren Fotos nicht zwangsläufig authentisch und „echt“.
  • Früher hat man abgewedelt und nachbelichtet – heute betreibt man „dodge&burn“.

Ich könnte die Liste fortsetzen, aber ich denke, es wird klar, was ich meine. Diejenigen, die heute in JPG fotografieren und glauben, sie würden damit auf den Wurzeln der Fotografie wandeln, marschieren in der Realität auf digitalen Autobahnen: Immer schön geradeaus, immer der Nase nach und ohne zu Denken auf einem Weg, den andere vorgeben. Es gibt sogar Hashtags für diese Art des Irrglaubens, „right out of camera“ zum Beispiel. Am Besten gefällt mir „without filters“, was de facto nicht stimmt. Einfach gar nicht. Nicht einmal ein bisschen.

Was ist falsch an „in camera“? Nichts.

Ich sage nicht, dass Fotografie auf die einfachstmögliche Art und Weise falsch ist. Das ist sie für die meisten Smartphoneografen und Schnappschützen keineswegs, im Gegenteil. Aber diejenigen, deren Selbstbild das der Fotografen mit tiefem Verständnis für die Materie ist, sollten endlich aus ihren Träumen aufwachen und in der Realität ankommen.


Nachtrag: Auch ich poste oft Fotos meines Katzenkindes oder meines Hundes aus dem iPhone direkt auf Twitter, wenn ich sehe, dass das Bild leidlich gut ist. Allerdings fotografiere ich stets in RAW und behalte damit die Möglichkeit, selbst zu entwickeln. Bei JPG-Fotos ist das nicht möglich.


[email-subscribers-form id=“1″]


Nach oben scrollen