Und weiter geht’s mit Teil 2. Heute sprechen wir darüber, wie wir uns outdoors, vor allem aber im Wald orientieren. Dazu kursieren so viele haarsträubende Geschichten, unfassbare Tipps und fahrlässige Ratschläge, dass ich mich frage, ob die Urheber – um sie nicht Erfinder zu nennen -, jemals weiter draußen waren als im Stadtwald. Da ich schon viele Jahre allein unterwegs bin, oft über mehrere Tage und autark, konnte ich einige Erfahrungen sammeln. Diese müssen nicht allgemeingültig sein, stellen aber sicher eine gute Grundlage dar. Und ich habe mich natürlich informiert, mir Wissen angeeignet. Also los:
Wo ist Norden?
Das Internet hat die Antwort: Norden ist da, wo das Moos an den Bäumen wächst. Und liefert auch die Begründung mit: Weil die Sonne von Osten über Süden nach Westen wandert und auf der Nordhalbkugel niemals im Norden stehen kann. Moos mag’s schattig, feucht und kühl, somit ist die Nordseite der Bäume der perfekte Besiedelungsort. Der Tipp lautet also: Schauen Sie, wo Moos wächst, dann wissen Sie, wo Norden ist. Haben Sie eine Karte bei sich, richten Sie sie entsprechend aus und – tätäää!

Klingt toll, ist nur leider Quatsch. Ein schönes Beispiel (oben) habe ich tief in einem alten Buchenwald fotografiert. Der Fuß dieser stattlichen Buche ist rundum mit Moos besetzt. Im Bild unten, aufgenommen in einem Flusstal, sind alle Bäume von oben bis unten dicht bemoost. Und nun? Wo ist Norden? Schauen wir uns doch mal an, wo Moos wächst und unter welchen Bedingungen.
Im ersten Bild stammt die Feuchtigkeit ganz klar vom Boden. Da es sich um einen Laubwald mit dichtem Kronendach handelt, ist es dort unten unabhängig vom Sonnenstand stets schattig, feucht und kühl. Zudem liegt diese Stelle in einem Tal. Auch da herrschen, ganz klar, ideale Bedingungen für Moose. Auf anderen Bäumen oder gar in anderen Wäldern finden wir gar kein Moos, schlicht, weil die Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind. Auch die vorherrschende Windrichtung und die regelmäßige Luftfeuchtigkeit spielen nämlich eine entscheidende Rolle.

Nun kann man erneut eine – leider zu einfache – Schlussfolgerung treffen und darauf tippen, dass hierzulande der Wind meist aus Westen weht und damit das Moos auf der Westseite der Bäume wächst. Das mag am Waldrand noch zutreffen, doch da brauchen wir keine Nachhilfe in Orientierung. Wenn wir auf Moos angewiesen sind, um aus dem Wald zu finden, stecken wir so tief darin, dass uns die möglicherweise richtige Schlussfolgerung aufgrund von Verwirbelungen und Umleitungen nicht weiterbringt – sofern überhaupt noch Wind im Wald spürbar ist.
Und was, wenn wir uns in einer Region bewegen, wo Bäche oder Flüsse für dauerhaft hohe Luftfeuchtigkeit sorgen? Die Stelle im Bild unten liegt Richtung Osten und wird über mehrere Stunden von der Sonne erfasst. Eigentlich dürfte da gar kein Moos sein, oder? Weitere Schwachpunkte im weit verbreiteten Tipp, dass Moos uns die Himmelsrichtung weisen kann, werden deutlich, wenn man sich in einem Tal befindet, in das sich niemals ein Sonnenstahl verirrt. Oder im Gebirge. Oder in einem stets trockenen Nadelwald.

Lassen Sie mich das Ganze abkürzen: Moos taugt nicht als Orientierungsmittel. Nehmen Sie einen kleinen Kompass mit, den sie vorher ausprobiert haben. Denken Sie daran, dass Metalle und elektronische Geräte (Armbanduhr und Handy) die Kompassnadel stören beziehungsweise ablenken. Selbst ein einfacher Kartenkompass, der in der hinteren Hosentasche Platz findet und für zwei Euro zu kaufen ist, wird Ihnen mehr helfen als das Studium von Moos.
Ach ja, das mit dem Ameisenhaufen, der angeblich immer Richtung Süden ausgerichtet ist, gehört ebenfalls ins Land der Legenden. Ameisen halten es wie Moos: Wo es ihnen gefällt, da siedeln sie.
Im Osten geht die Sonne auf …
… im Süden ist ihr Tageslauf. Im Westen wird sie untergehen, im Norden hat man sie nie gesehen.
Den Merkspruch für Kinder kennen Sie? Er stimmt leider nicht. Okay, er stimmt nicht ganz. Das zu überprüfen haben Sie zwei Möglichkeiten: Sie gehen mit einer Uhr und einem Kompass ins Freie und messen nach. (Für jedes Handy gibt es mittlerweile mehr oder weniger aufwändig gestaltete Apps, Sie müssen also nicht in den nächsten Outdoorshop gehen und Geld in einen analogen Kompass investieren.) Oder Sie schauen nach, was Wikipedia zum Sonnenstand zu sagen hat. Oder Sie rufen eine Seite auf, die weniger Text, dafür konkrete Daten hat. Sonnenstand.de zum Beispiel. (Ich setze hierzu keinen Link, da diese Seite mit Google Analytics arbeitet und Werbung schaltet. Ich lege Wert darauf, dass Sie auf meinem Blog sicher surfen.)
Was wird beim Blick auf den Screenshot klar? (Klick vergrößert.) Wir schreiben den 7. September 2019, es ist Mittagszeit. Wollen wir nach Süden, sollten wir nicht Richtung Sonne marschieren, denn damit würden wir einen je nach Distanz zu unserem Ziel mehr oder weniger großen Umweg in Kauf nehmen. Wir können die Sonne als groben Anhaltspunkt verwenden, mehr aber auch nicht. Also gilt auch hier, dass Wissen für Sicherheit sorgt. (Und ein Kompass für die gewünschte Orientierung.)
Einfach der Nase nach!
Wenn wir nicht mehr wissen, wo wir sind, gehen wir geradeaus. Wir marschieren einfach los, konsequent in eine Richtung, und kommen irgendwann garantiert an einem Weg oder am Waldrand an.
Toller Tipp? Blöder Tipp!
Auch das können Sie einfach selbst ausprobieren. Suchen Sie sonntags einen großen Supermarktparkplatz auf oder stellen Sie sich auf eine Wiese. Fixieren Sie ein Ziel in nicht unter 50 Metern Entfernung, schließen Sie die Augen und gehen Sie darauf zu. (Bitte brechen Sie sich nicht die Beine!) Bleiben Sie stehen, öffnen Sie die Augen und staunen Sie. Wie weit sind Sie abgedriftet? Und jetzt stellen Sie sich vor, die 50 Meter wären 500 Meter. Oder 1.000 Meter. Ich war nie gut in Mathe, aber irgendwann sind Sie genau dort wieder angelangt, wo Sie begonnen haben.

Warum ist das so? Weil jeder Mensch nicht nur ein dominantes Auge hat, sondern auch dominante Arme und Beine. Die meisten Menschen sind Rechtsfüßer, das bedeutet, sie stoßen sich mit dem rechten Bein stärker ab und haben damit einen Linksdrall. Gehen wir mit offenen Augen, korrigieren wir das ständig instinktiv durch das Suchen neuer Ziele. Verlieren wir allerdings unsere visuelle Orientierung, laufen wir erst einen Bogen, dann einen Kreis und zuletzt eine Spirale. Was das in der Natur bedeuten kann, ist klar: Lebensgefahr!
Wie verhindert man das? Es gibt Tipps, wonach man sich Bäume merken und sie quasi in einer Linie hintereinander stellen soll. Man peilt also einen Baum an, marschiert darauf zu, stellt sich dorthin, peilt zurück und auf dieser Line den nächsten Baum an. Ich hab’s probiert und festgestellt, dass es mühsam, zeitraubend und extrem unsicher ist. Warum? Weil Wald keinen „sauberen“ Untergrund hat. Man muss stets um Hindernisse herum oder darüber hinweg, läuft also nie wirklich geradeaus. Es passiert rasch, dass man „seinen“ Baum verliert. Also braucht man einen besseren Tipp.

Meiner funktioniert im Unterholz auch nicht perfekt, aber besser als der obige. Erst einmal versuche ich, aus dem dichten Unterholz zu kommen. Das befindet sich nicht überall, es sind überschaubare Bereiche. Dann, wenn ich wieder besser vorankomme, achte ich auf meine Schritte. Mein dominantes Bein ist das rechte, ich muss also den linken Schritt kompensieren, um geradeaus zu gehen. Das tue ich, indem ich bewusst umdenke und dem linken Fuß die Führung überlasse. Rechtsfüßer „ziehen“ den linken Fuß mehr oder weniger nach und kommen so auf ein Verhältnis von etwa 1½ : 1. Konzentriere ich mich auf den schwachen Fuß, kann ich das Missverhältnis ausgleichen. Muss ich einem Hindernis ausweichen, peile ich zurück (was ich ohnehin immer wieder tue).
Andere haben andere Methoden, beispielsweise zählen sie Schritte und korrigieren sie dann um die individuelle, vorher getestete Abweichung. Was für einen selbst funktioniert, kann man auf besagter Wiese ausprobieren und sollte das auch öfter mal tun, bevor man sich in die „Wildnis“ wagt. Ohnehin immer bewusst machen sollte man sich, dass alles, was man im Vorfeld ausprobiert hat, im Notfall helfen wird – und nur das! Dieses von Erfahrung getragene Wissen sollte man dann nicht irgendwann, sondern sofort und konsequent anwenden. Abwarten ist nur selten hilfreich, Panik niemals. Ich vergleiche es mit dem Autofahren: Sie haben es gelernt, geübt, verinnerlicht. Es gibt kein Nachdenken, Sie agieren nach einem festen Schema und reagieren auf Störungen ohne Verzögerung.
Google Maps und GPS

Ich lade mir vor jeder Tour die Google Maps-Karte auf mein iPhone. Das hat mir schon ein paar Mal die verlorene Orientierung zurückgebracht. Einfach und gut – sofern es funktioniert. Den ersten Tipp habe ich Ihnen ja schon gegeben: Laden Sie Karten stets zur Offlinenutzung, denn das mit dem Internet … nun, Sie kennen das. Damit haben Sie nur noch mit zwei Problemen zu tun. Das eine betrifft den Strom, den unsere Handys leider extrem „saufen“. Die Zeiten eines Nokia 3110, das tagelang lief, sind vorbei. Also laden Sie Ihr Handy stets voll auf, nutzen Sie es nicht zum Filmen und Fotografieren und stellen Sie es gegebenenfalls sogar auf Flugmodus. Dazu nehmen Sie eine kleine Powerbank mit und (!) das passende Ladekabel. Damit sind Sie auf der sicheren Seite.
Hmnjein. Nicht ganz. Ihr Handy benötigt nämlich ein GPS-Signal, sonst bringt Ihnen Ihre Offlinekarte gar nichts. Und schon muss ich wieder mit einem Mythos aufräumen, denn GPS-Signale gibt es keineswegs immer und überall. Unter hohen und dichten Bäumen kann an ganz ordentlich auf die Schnauze fallen, wenn man sich auf die Technik verlässt. Da hilft dann nur, sich ein Signal zu suchen, wobei eines nicht reicht, um sicher zu sein, dass man auch da ist, wo einen Google Maps verortet. Leider wird einem bei Smartphones im Gegensatz zu reinen GPS-Geräten nicht angezeigt, auf wie viele GPS-Satelliten sich die Ortung stützt. Und ob die Richtung stimmt, in die man angeblich blickt … (Meiner Erfahrung nach selten.)

Und wieder blabla Kompass blablabal Karte blabla Navigation lernen blablabla … Na, Sie kennen es mittlerweile. Ich kann’s nicht oft genug betonen: Man kann sich 20 Meter vom geparkten Auto entfernt verlaufen, und ja, das passiert etwa im Schwarzwald alle naslang!
Mit allen Sinnen plus Verstand
Schluss mit dem Unken, mit dem Heraufbeschwören von Gefahren. Lassen Sie uns die Natur genießen. Es gibt einige Regeln, die jeder Outdoormensch einhält und die fast eine Garantie dafür geben, sich nicht zu verirren oder aus einer unangenehmen Situation wieder herauszufinden.
- Wir bewegen uns niemals ungeplant und unmotiviert. Zielloses Herumstreifen ist schön, doch man sollte es beherrschen oder nur dort tun, wo man sich auskennt. Achtung, Pilzesammler in fremden Revieren und Fotografen verlaufen sich am Schnellsten – sie achten zu sehr auf „Beute“ und zu wenig auf die Gegend. Das ist immer wieder mal auch mein Problem.
- Wir sind stets aufmerksam, konzentriert und nehmen unsere Umwelt bewusst wahr. Damit wird uns rasch klar, wenn wir ein Objekt zwei Mal sehen – wir sind also im Kreis gelaufen oder haben die Richtung geändert. An Objekten orientieren wir uns auch oder wir schaffen uns eigene Orientierungspunkte.
- Wir ändern niemals die geplante Route oder den eingeschlagenen Kurs ohne zu wissen, wo wir sind und wohin wir uns wenden. (Auch das Warum ist nicht unwichtig, aber nachrangig.)
- Wir werfen stets Blicke zurück, also dorthin, woher wir kommen. Sich diese Perspektive einzuprägen ist hilfreich für den Rückweg, denn der ist damit visuell bekannt.
- Wir schauen nicht nur, wir hören und riechen, tasten und fühlen. Für im Wald Ungeübte sieht jeder Baum gleich aus, doch nicht unter jedem Baum befinden sich Pilze, Brennnessel, Blumen, Moos, Grabelöcher und so weiter. Außerdem riecht es im Wald überall anders. Lauschen wir hin und wieder, hören wir vielleicht Straßenverkehr, Stimmen, Forstarbeitsgeräusche, Wasser …
- Wir achten auf das Gelände. Haben wir einen Hang erklommen, müssen wir für den Rückweg auch wieder hinunter. Finden wir einen Fluss oder Bach, können wir ihm folgen. (Außer in der Wüste (!) stets in Fließrichtung.) Ausgeprägte Tierspuren führen meist zu Futterstellen, in deren Nähe stets ein Weg ist, ganz sicher aber führen sie zu Wasser. Und Wasser führt (wiederum mit Ausnahme von Wüsten, in denen Wasser versickert) zu mehr Wasser. Und das wiederum führt zu Menschen. Doch eines muss uns bewusst sein: Man kann an Wasserläufen auf Wildschweine oder – ja, in Europa! – sogar auf Bären treffen.
- Wir geben einer zuverlässigen Person Bescheid, wohin wir gehen und wie lang wir planen unterwegs zu sein. Haben wir Mobilfunknetz, melden wir uns beim Losgehen ab und zurück beim Auto wieder an. Ich habe jemandem meine Apple ID anvertraut, der mich tracken kann. Damit ist zumindest der letzte Standort bekannt, an dem sich mein iPhone ins Netz eingebucht hat.
- WIR ÜBERSCHÄTZEN UNS UND UNSERE FÄHIGKEITEN NICHT.
Es gibt keinen Grund, zu Hause zu bleiben
Naturanfänger können sich einem Outdoorer anschließen – aber bitte keine tollen Sprüche einfach glauben, sondern das Vertrauen in Fähigkeiten und Fertigkeiten über einen gewissen Zeitraum allmählich aufbauen! -, mit geführten Gruppen auf Tour gehen, an Bushcraft-Camps teilnehmen oder auch allein losziehen.
Auch im gut besuchten Stadtwald lässt sich Natur üben; Herausforderungen warten überall. So könnten Sie etwa mittels Ohrstöpsel alle Geräusche ausschalten und sich damit eines wichtigen Orientierungssinnes berauben. Sehr spannend! Ich mache das hin und wieder, wenn mir sonntags das Geschrei der Spaziergänger auf die Nerven geht, das kilometerweit durch den Wald hallt.

Bei dieser Gelegenheit (und weil’s mir an dieser Stelle gerade einfällt) möchte ich Ihnen eine gefühlte Sicherheit nehmen: Wege sind keineswegs perfekte Orientierungsmittel. Wenn ich mich im Wald verlaufen habe, dann weil ich Wege benutzt habe. Sie verleiten einen dazu, nicht darauf zu achten, woher man kommt und wohin man geht. Schlägt der Weg einen Bogen? Bin ich vorhin geradeaus gegangen oder abgebogen? Bei der Y-Abzweigung rechts oder links? Eine MTB-Tour durch Augsburgs Westliche Wälder, immerhin einem meiner Heimatreviere, verlängerte sich durch solche Unachtsamkeiten und aufgrund mehrerer unvermittelt endender Wege so sehr, dass ich statt zwei, drei Stunden fast die doppelte Zeit benötigte, bis ich wieder zu Hause war. Dieses Gebiet ist von Wegen durchzogen, leider aber sind es so viele, dass man irgendwann den Überblick verliert. Kein Problem in diesem Fall, aber ein Denkzettel.
Das Ding mit dem Disclaimer
Was ich mit diesem Zweiteiler nicht leisten konnte, ist eine fundierte Survivalausbildung (die sich selbst nur eingeschränkt besitze). Es ging mir um Grundlegendes, um die Beantwortung der Fragen, die mir als Naturfotografin ständig gestellt werden. Für erste Ideen zu „echtem“ Survival ist Youtube sicher eine gute Wahl; es gibt einige seriöse und gut gemachte Kanäle, leider aber auch viele Hasardeure und Spinner. Bei manchen Videos ist deutlich zu erkennen, dass sie keinesfalls da aufgenommen worden sein können, wo sie es vorgeben. Bitte verlassen Sie sich beim Anschauen auf Ihren gesunden Menschenverstand.
Möchten Sie meine Arbeit unterstützen? Etwa einen Guide bezahlen? Meinem Auto ein paar Liter Sprit spendieren? Die Kosten für die täglich zu bezahlenden Foto-Permits übernehmen? Jeder Euro wird ausschließlich in #NaTour_Urwald investiert!