Das mit der Offenblende

Offenblende. Es gibt genau zwei Gründe, warum ich jemals über die am weitesten zu öffnende Blende nachdenke: Beim Kauf eines neuen Objektivs und bei Nacht- und Sternenfotografie. Letztere mache ich selten bis gar nicht, von daher können wir diesen Punkt gleich wieder streichen. Nachtfotografie ist auch nicht so meins, denn ich bin Naturfotografin und finde, dass die Tiere, die dort leben, wo ich meine Motive finde, ein Recht auf ihre Ruhe haben. Außerdem bin ich fast nachtblind …

Mein Motto: Kein Bild ohne shallow depth of field!

Ich bin, wenn man meine Art der Fotografie beschreiben will, Detailfotografin. Nicht nur bei Natur, sondern auch wenn ich „Dinge“ in den Fokus nehme wie im obigen Bild. Von mir gibt es nicht viele Bilder ohne unscharfen bis total ausgeblendeten Hintergrund. Und ich liebe Bokeh! Ich habe mir für viel zu viel Geld einige gut 50 Jahre alte Objektive gekauft, die an meiner Kamera ausschließlich manuell zu bedienen sind, nur um diese traumhaft schön verquirlten oder kringeligen Hintergründe zu erhalten. Doch alles zu seiner Zeit, alles an seinem Ort und alles mit der passenden Blende. Die größte ist es extrem selten. Ich gehe so weit zu behaupten: Die größte ist es nie!

Ich rede einfach mal Tacheles: Hören Sie auf, ständig aus Überzeugung mit der größten Blende (also die mit der kleinsten Zahl) zu fotografieren, die das Objektiv hergibt! Das hat mehrere Gründe:

  • Die Verzeichnung bei ganz offener Blende ist ebenso störend wie die bei ganz geschlossener. Und nein, sie ist nicht mit Lightroom oder Photoshop zu korrigieren wie die Verrenkungen, die ein Bild macht, wenn es mit einem Weitwinkelobjektiv aufgenommen wurde.
  • Die Offenblende hat im Grunde nur einen Zweck: Sie soll Lichtstärke bringen. Damit zu fotografieren ist aus dem oben genannten Grund (außer in Ausnahmefällen) nicht zu empfehlen, wie auch aus dem nächsten. Kurz: Abblenden ist die Regel, nicht die Ausnahme!
  • Schärfentiefe beziehungsweise das Fehlen derselben ist ein wunderbares Mittel zur Freistellung, zur Betonung, zur Ausblendung störender Elemente und so weiter. Ein gutes Objektiv malt einen atemberaubend schönen Hintergrund, vor allem, wenn man diesen bewusst als Stilelement für den beliebten shallow depth of field (DOF) wählt. Ich mache das bei fast jedem meiner Fotos. Aber …
  • … der DOF muss zum Einsatz passen. Wenn ich ein Porträt fotografiere und korrekterweise auf das vordere Auge fokussiere, wird bei zu weit geöffneter Blende die Nase ebenso unscharf wie das Ohr und die Haare verschwimmen im Nebel. Unschön. Unprofessionell. Welche Blende gerade passt, kann ich Ihnen übrigens nicht sagen, es hängt davon ab, wie weit Ihr Objektiv von Ihrem Model entfernt ist. Sie müssen es unter den aktuell geltenden Bedingungen testen.
  • Das Gleiche gilt bei Naturfotos, etwa bei Blumen. Ist ein Blütenblatt ganz knapp noch scharf, das nächste jedoch bereits diffus und alle anderen undeutlich, ist das für mich (und ich stehe mit dieser Meinung nicht allein) einfach nur schlecht fotografiert und ich bekomme Augenkrebs davon oder überdenke meinen Kaffee- oder Alkoholkonsum. Dass Offenblende-Fetischisten das als Kunst verkaufen, macht es nicht besser. Versuchen Sie doch mal, eines dieser Fotos bei, sagen wir, Adobe Stock anzubieten. Es wird abgewiesen, darauf verwette ich meine Lieblingsobjektiv. (Sie werden es nicht tun und es ist Ihnen auch egal, was andere über Ihren „Stil“ denken, ich weiß. Aber nur so als Tipp: Das Schlechteste ist dieses Vorgehen nicht, um seine Fotos unter professionellen Kriterien beurteilen zu lassen.)

All diese technischen Unzulänglichkeiten mögen bei Minibildchen für Instagram nicht stören und sogar gefeiert werden (Hashtag: #DOF) und auch bei Twitter aufgrund des speziellen Looks bestaunt werden, spätestens bei Facebook aber ist Schluss mit dem Hype. Dort nämlich tummeln sich viele ambitionierte Fotografen und die verreißen solche Fotos der Reihe nach. Selten in freundlichen Worten, aber meist zu Recht.

Viel oder wenig oder gar kein DOF? Kommt darauf an.

Soweit zur Theorie (über die im Übrigen schon vor Jahren ganze Bücher geschrieben wurden). Lassen Sie lieber mich ein Beispiel anführen. Welches der beiden identisch entwickelten Fotos würden Sie als in Ordnung werten? (Klick auf die Bilder vergrößert.)

Keines. Und vermutlich geben Sie mir recht. Beide sind scharf und doch unscharf. Warum? Weil die Schärfentiefe nicht funktioniert sondern irritiert. Fotografiert wurde hier übrigens mit Blende 11 und 120mm Brennweite (Nikon D750 mit Sigma Art 24-120 f4). Macro oder auch Telefotografie funktioniert frühestens ab Blende 8 vernünftig, wobei dann das Objekt schon sehr flach sein muss, um es von vorn bis hinten scharf zu abbilden zu können. Bei welcher Blende das Bild perfekt gewesen wäre? Gar nicht.* Nicht mit dieser Komposition, nicht mit dieser geringen (oder zu großen) Entfernung der Objekte zueinander. Diesen Aspekt übersehen leider viele „Offenblender“.

(*Stimmt nicht! Ich hätte ein HDR aus beiden Aufnahmen machen können. Dann hätte ich aber nicht zeigen können, wo jeweils die Schärfe sitzt. Schließlich wollte ich etwas beweisen und nicht „gut“ fotografieren … Apropos Schärfentiefe: Nächste Woche reden wir über die „förderliche Blende“ und wie wir herausfinden, welche das ist.)

Mein Fazit: Machen Sie doch, was Sie wollen!

Wenn Sie mit DOF spielen, machen Sie’s gut und richtig. Zeigen Sie, dass Sie wissen, was Sie tun und warum. Begeistern Sie die Betrachter Ihrer Bilder, überraschen Sie sie mit dem gewissen Extra, das eben nur kann, wer’s kann. Wenn eine extrem geringe Schärfentiefe passt, um ein Objekt mit korrekter Schärfe herauszustellen und den Hintergrund schön verschwimmen zu lassen, tun Sie’s! Ich werde Ihr Bild feiern. Die Regeln visueller Kunst aber komplett aufheben zu wollen, hat noch nie funktioniert. Sie sind so alt wie Kunst. So alt wie die Menschheit.


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